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Kategorie Politik
Ausgabe WS0607 - 4
Autor Fabio Reinhardt

United they fall - Ein Nachruf auf die Neocons

Die Kongresswahlen in den USA sind vorbei. Die Folgen: Republikaner sind abgesetzt, Rumsfeld hat seinen Hut genommen und Präsident Bush hat massive Kurskorrekturen bei der Okkupationspolitik des Irak angekündigt. Anscheinend wird also alles besser. Müssen wir uns denn dann immer noch für die US-Außenpolitik interessieren? Leider ist die amerikanische Politiklandschaft etwas unübersichtlicher, als das Zwei-Parteien-System auf den ersten Blick glauben machen könnte. Die Abstimmungen in Abgeordetenhaus und Senat werden zum Beispiel durch die fehlende Fraktionspflicht verkompliziert. Kein Wunder, dass es wichtig ist, gleichgesinnte Verbündete zu sammeln. Um einen etwas besseren Überblick über das Verhältnis von zwei Verbündeten zu erhalten, die die amerikanische Außenpolitik der letzten Jahre bestimmt haben, die Bush-Regierung und die sogenannten Neokonservativen, empfiehlt sich ein Blick in die amerikanische Klatschpresselandschaft.

Bruch der Neocons mit dem Kabinett Bush

Wer zum Beispiel am 3. November 2006 die Webseite der Zeitschrift Vanity Fair aufrief, konnte dort bereits vier Tage vor den Wahlen zum Kongress klar erkennen, dass den Republikanern eine deftige Niederlage bevorstehen würde. Das wurde nicht nur durch die katastrophalen Umfragewerte der Bush-Regierung deutlich - am besten lässt sich solches immer erkennen, wenn bis dato Verbündete versuchen, das sinkende Schiff zu verlassen. Genau dies taten führende neokonservative Theoretiker öffentlich in Interviews, die Autor David Rose in dem Artikel Neo Culpa - Now they tell us zusammenfasste. Andere große Medienagenturen reagierten prompt. Neben CNN berichtete auch SPIEGEL Online über den Artikel und titelte am 4. November: „Neokonservative kritisieren Bush“. Vize-Präsident Cheney, noch am gleichen Tag mit den Vorwürfen der Neocons konfrontiert, versuchte nicht einmal mehr, die außenpolitische Linie seiner Regierung zu verteidigen. Wie lauten also nun diese Vorwürfe?

 

Von gravierenden Problemen innerhalb der Kommunikation und der Befehlsführung sprach Richard Perle, einer der Vordenker der neokonservativen Denkrichtung und von 2001 bis 2003 Vorsitzender des Defense Policy Board, ein die Regierung in Verteidigungsfragen beratendes Komitee. Perle, der in den USA auch unter dem Spitznamen „prince of darkness“ bekannt ist, sprach den Neokonservativen alle Schuld am Fiasko des Irak-Krieges ab. „Wenn ich gewusst hätte", schimpfte er im Interview, „was für inkompetente Leute sich in dieser Führungsriege befänden, hätte ich mich klar gegen den Einmarsch ausgesprochen". Als Gründe für das Scheitern des Krieges nannte Perle unter anderem die übermäßige Bevorzugung US-amerikanischer gegenüber irakischenn Firmen bei der Vergabe von Verträgen. Besonders enttäuscht gab sich Perle darüber, dass die Leute ihn für einen der „architects of war“ hielten. Wahr sei stattdessen, dass die Neocons lediglich die Ideologie geliefert hätten, zu der dann die klägliche Ausführung der Bush-Regierung gekommen sei.

Auch David Frum, ehemaliger Redenschreiber und als Erfinder des Begriffs „axis of evil“ bekannt, gab zu Protokoll, dass die Schuld für die Niederlage den zentralen Entscheidungsträgern, angefangen mit dem Präsidenten, angelastet werden müsse. Das Hauptproblem sei, dass Bushs Rhetorik und das, was er wirklich denke, ganz einfach nicht übereinstimmten. Dies sei vielleicht die Wurzel des letztlichen Scheiterns ihrer Politik. Bush habe es ganz einfach nicht geschafft, ihre grundlegenden neokonservativen Ansichten der Öffentlichkeit zu vermitteln, da er selbst nicht von ihnen überzeugt sei.

"Die UN haben ihre Existenzberechtigung verloren"

Welches sind denn nun die grundlegenden Ansichten der Neocons? Perle schrieb dazu, es sei vor allem „die Idee, militärische Kräfte als Mittel zur Verbesserung der Welt einzusetzen“. 1998 machten sie zuerst öffentlich auf sich aufmerksam, indem sie einen offenen Brief an den amtierenden Präsidenten Bill Clinton schrieben, in dem sie ihn dazu aufforderten, den Irak anzugreifen. Viele der 40 hochrangigen Unterzeichner sind zugleich Mitglieder des im Jahr zuvor gegründeten PNAC, Project for the New American Century, eines Think Tanks, der eine aggressivere Auslegung der Führungsrolle der USA befürwortet. Eine Art pax Americana also. Im Ende 2003 veröffentlichten Buch "An End to Evil: How to Win the War on Terror" schrieben Richard Perle und David Frum über die Ziele der Neokonservativen, diese seien sehr langfristig ausgelegt und nicht immer schnell realisierbar. Ihre Vision sei im Grundsatz der der UN ähnlich: eine Welt durchdrungen von Frieden und Gerechtigkeit. Nur habe die UN, so ihre These, schon lange versagt und verdiene dementsprechend keine Unterstützung mehr. Lediglich die einzig verbliebene Supermacht USA könne und solle danach das von ihnen herbeizitierte „justice through power“ bringen.

Nachdem Clinton ihr Anliegen damals abgelehnt hatte, bekamen sie ihre Chance zu einer Irak-Invasion im Jahre 2003, nachdem wichtige Posten innerhalb der Regierung mit Falken besetzt worden waren und die Anschläge vom 11. September zu einer geeigenten Stimmung in der Bevölkerung führten. In dem Artikel „United they fall“ vom 22. März 2003 im britischen Spectator beschrieb Richard Perle detailliert, wie der Sturz des Saddam-Regimes gleich auch noch zum Fall der Vereinten Nationen führen werde.

2004 gaben sich die Neocons immer noch überzeugt von der Möglichkeit einer mittelfristigen Umsetzung ihrer Ziele. Doch diese Sichtweise änderte sich durch die Verschlimmerung der Situation im Irak. James Woolsey, CIA-Direktor unter Clinton und Mitglied des defense policy board, hatte früher in zahlreichen Artikeln die Invasion Iraks empfohlen und erklärte noch 2004 glücklich, die Welt sei dank George Bush ein Stück sicherer geworden. Mittlerweile gestand jedoch auch er sich die Niederlage seiner politischen Denkschule ein und zog bereits Parallelen zwischen dem Krieg in Irak und Vietnam. Ihm zufolge hätte die Katastrophe durch die Anerkennung einer irakischen Exilregierung und die Ausbildung von Exilirakern zu regulären Einheiten vermieden werden können. Dadurch hätten die USA beim Einmarsch nicht als Besatzer, sondern als Befreier dagestanden. Wenn die Soldaten, die auf den Bildern beim Umstürzen der Statue Saddams gezeigt wurden, nicht Amerikaner sondern Iraker gewesen wären, wäre es ihm zufolge, möglicherweise zu einem anderen Geschichtsverlauf gekommen.

"Die Ideen sebst waren aber alle richtig"

Kenneth Adelmann, bis 2005 ebenfalls Mitglied des defense policy board, bezeichnete die Bush-Regierung als „eine der inkompetentesten der Nachkriegszeit“ und erklärte die ganze Regierungsbank zusammengenommen als „tödlich dysfunktional“. Diese Umstände seien nun Auslöser für eine langfristige Schwächung der gesamten neokonservativen Bewegung. Das Hauptproblem sei dabei lediglich die Differenz zwischen dem Willen der Regierung und deren Umsetzungsfähigkeit gewesen. Die Ideen selbst dagegen seien gut und richtig.

Mit dieser Meinung zumindest steht Adelmann nicht allein da. An der Richtigkeit ihrer Theorien scheint bei den Neocons kein Zweifel zu bestehen. Jeder einzelne der Interviewten gab stattdessen der Bush-Regierung die alleinige Schuld an dem Desaster in Irak. Der einzige Fehler von ihrer Seite sei es lediglich gewesen, die Umsetzung ihrer ehrgeizigen Pläne einem derart inkompetenten Kabinett zuzutrauen. Bei der Frage, ob man den Krieg nun im Kampf oder durch schlechte Publicity in der Heimat verloren habe, was beim Vietnamkrieg noch lange Zeit diskutiert wurde - die amerikanische Form der Dolchstoßlegende ist noch immer eine mächtige Propagandawaffe der Rechten -, gehen die Meinungen auseinander. Allerdings tendieren auch die Neocons zur der Suche nach den Fehlern bei der Planung und der Umsetzung der Besatzung.

Das Spektrum der von den Neocons gezogenen Fazits reicht dabei von bestürzt und wütend bis hoffnungslos. Einige zweifelten sogar an ihrem grundlegendem Paradigma, dass Amerika die geeignete Macht sei, Demokratie in die Welt zu exportieren. Dabei müssen sie sich fühlen wie der Mönch Tommaso Campanella, der im 17. Jahrhundert enttäuscht feststellen musste, dass sein Favorit Spanien nicht die angemessene Macht war, die Welt in den von ihm ersonnenen utopischen Einheitsstaat zu verwandeln.

Es bleibt abzuwarten, ob die Neocons sich nach ihrem Abwenden von der Bush-Regierung nach anderen potentiellen Umsetzern ihrer politischen Ideen umsehen werden. Vermutlich werden sie die nächsten Wahlen abwarten und schauen, welche einflussreichen Personen sie in der Zukunft mit ihren Aufsätzen über globale Hegemonie belästigen können. Ganz werden sie aber wohl kaum in der Versenkung verschwinden. Auch Campanella gab nicht auf. Nach dem Scheitern seiner Hoffnungen und seiner erzwungenen Ausreise schrieb er einen Teil seiner Thesen um und richtete seine Hoffnungen auf eine starke Universalmonarchie von nun an auf Frankreich unter Ludwig XIV.

Der Bush-Regierung zu Dank verpflichtet

Als Anhänger einer multipolaren Weltordnung muss man der Bush-Regierung fast dankbar sein. Ihre Inkompetenz und mangelhafte interne Kommunikation hat sich als ein wirksamer Dämpfer der aggressiven Ziele der amerikanischen Falken entpuppt. Mögliche Konsequenzen bei erfolgreichem Abschluss der Mission hätten gelautet: Stärkere Einbindung von Neocons in wichtige Positionen, weitere Interventionen nach Belieben und eine noch stärkere Zurückdrängung der Vereinten Nationen. So aber sei laut Adelmann „die Idee, militärische Kräfte als Mittel zur Verbesserung der Welt einzusetzen für mindestens eine Generation gestorben“. Bei allem Positivem bleibt dennoch ein bitterer Beigeschmack zurück: Dass ein instabiler, möglicherweise sogar von Extremisten beherrschter Irak nicht gerade zu einer Stabilisierung des nahen Osten beitragen wird, liegt auf der Hand. Schwerer abzusehen sind jedoch die Konsequenzen für zukünftige Interventionen. Gerade die UN-Peacekeeping-Missionen, die ja in tatsächlichen Krisengebieten wie zum Beispiel im Sudan durchaus angebracht wären, haben spätestens seit dem Desaster in Somalia von 1993 einen extrem schweren Stand. Diese letzte 'weitere gescheiterte Intervention' könnte zukünftige Interventionspläne weiter erschweren. Oder aber sie gewinnen an Unterstützung, weil sie eine sinnvolle Alternative zu den Alleingängen der USA darstellen. Das muss die Zeit zeigen.

 Fabio Reinhardt