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Ausgabe SoSe06 - 2
Autor Folko Damm

WM-Spezial - Résumé

"Zizou" tritt ohne Krone ab


Das darf nicht wahr sein! Kaum hat das rauschende Fest begonnen, ist es auch schon wieder vorbei – und tausende Vernarrte sucht eine Sinnkrise heim. Der im August beginnende biedere Bundesliga-Alltag wird das Hochgefühl, das das Turnier der Superlative spielend leicht zu vermitteln vermochte, wohl kaum hervorrufen können. Stattdessen: Leere, nichts als Leere nach vier Wochen Fußball pur, 64 Spielen und hunderten Stunden TV-Übertragung. Nach internationalem Flair in Deutschlands Großstädten, fundierten Expertenmeinungen, bunten Fan-Festen, täglichen Pressekonferenzen und Sonderbeilagen, hitzigen Diskussionen, großen Emotionen und und und. Was bleibt, sind Erinnerungen an „die Welt zu Gast bei Freunden“.

Deutschlands neue Spielkultur

Allen voran sicher die grandiosen Leistungen der deutschen Elf, die teilweise begeisternden bis brillanten Fußball zelebrierte, der in dieser Form bisher nicht zu sehen war und den es (bitte!) zu konservieren gilt. Ein harmonierender Sturm um „Prinz Poldi“ und „Miro“, ein überragender Mittelfeld-Stratege „Lutscher“ Frings, eine überzeugende Innenverteidigung um die baumlangen „Merte“ und „Metze“, ein souveräner Rückhalt Jens Lehmann im Tor – die Zutaten für das WM-Sieben-Gänge-Menü mit anschließender Titelfeier hatte Chefkoch Klinsmann schmackhaft zubereitet. Auch wenn es gegen die nahezu perfekt verteidigenden Italiener nicht zum krönenden Finaleinzug gereicht hat, sind die WM und der dritte Platz ohne Einschränkungen als Erfolg für die sympathischen „Klinsmänner“ zu werten.

Versagen der Südamerikaner

Nicht so für die hoch gehandelten Teams aus Südamerika: Betrachtet man die fünf Spiele der „Seleçao“, enttäuschten die Brasilianer gemessen an ihren sonstigen Qualitäten – Ronaldinho außer Form, Adriano zu eigensinnig, Ronaldo zu moppelig. Nicht umsonst kam das frühe Aus verdientermaßen gegen überlegene Franzosen. Dass es die Argentinier ebenfalls bereits im Viertelfinale gegen Deutschland treffen würde, hatte zu Beginn des Turniers niemand erwartet. Nachdem die „Gauchos“ ein Höchstmaß an Effizienz, Spielklasse und taktischem Geschick demonstriert und u. a. Serbien-Montenegro beim 6:0 deklassiert hatten, waren die Ziehsöhne José Pekermans der heißeste Titelanwärter. Frei nach Miro Klose: Ihr Pech, dass sie auf Deutschland trafen. Nicht mit Glück gesegnet waren die Ghanaer, dieses Jahr das Aushängeschild des afrikanischen Fußballs. Trotz couragierten Spiels gegen die weit unter Bestform auftretenden Brasilianer schieden die „Black Stars“ im Achtelfinale aus und müssen auf 2010 in Südafrika hoffen. Ebenfalls in der „Runde der letzten 16“ war für das zweite Überraschungsteam Schluss: Ecuador scheiterte an England „dank“ eines Freistoßtores des am Ende vor Erschöpfung spuckenden Metrosexuellen-Idols David „Becks“ Beckham. Dass für dessen Mannschaft das Ausscheiden nicht mehr zu verhindern wäre, war spätestens klar, als es nach 120 Minuten im Viertelfinale gegen Portugal noch immer unentschieden stand. Hier bestätigte sich mit dem Scheitern vom Punkt aus einmal mehr ein ungeschriebenes Fußball-Gesetz für die „Three Lions“. Bereits im Achtelfinale ausgeschieden waren die gut aufgelegten Mannschaften aus Mexiko und Australien, von denen sich letztlich nur die „Socceroos“ etwas unerwartet für die Vorschlussrunde qualifiziert hatten.

Überraschungen? Fehlanzeige!

Ansonsten blieb die zweite WM in Deutschland von Überraschungen „verschont“: Weder die afrikanischen Mannschaften schafften den großen Coup, noch vermochten die „Trinis“ aus der Karibik, Polen oder etwa Costa Rica zu überzeugen. Enttäuschung allenthalben auch bei den Geheimfavoriten aus Holland, Schweden und vor allem Tschechien, das auch nicht von seinen Routiniers Pavel Nedved und Karel Poborsky profitieren konnte.

Abschied der Altstars

Während diese beiden Altstars ihre großen Nationalmannschaftskarrieren nicht mehr versöhnlich beenden durften, spielten sich mit Zinedine Zidane und Luis Figo noch einmal zwei alternde Ausnahmekönner bei ihrem letzten Auftritt auf der Weltbühne ins Rampenlicht. Frankreich und Portugal verdanken ihre erfolgreiche WM jeweils nicht zuletzt den beiden 34-jährigen Superstars, die die Messlatte für ihre Nachfolger in scheinbar unerreichbare Höhen legten. Mit Franck Ribery schickt sich aber vor allem der französische „Kronprinz“ an, das Idol Zidane adäquat zu ersetzen. Ohne Länderspieleinsatz nominiert, deutete der 23-jährige Offensivmann mehrmals an, welches Potenzial er besitzt. Vielleicht fällt es „Zizou“ so leichter, das Zepter nach dem Rücktritt vom Rücktritt nun endgültig abzugeben. Pathos ist angebracht: Fußballliebhaber dieser Welt, verneigt euch vor einem der größten Virtuosen, den dieser Sport jemals hervorgebracht hat! Traurig jedoch, dass ein so großer Akteur sich selbst und seine Nerven im entscheidenden Moment nicht im Zaum hielt. „Yazid“, wie ihn seine Freunde aus dem Marseiller Vorort La Castellane seit Kindertagen rufen, hätte sich selbst am Sonntagabend im Finale gegen Italien endgültig die Fußballkrone aufs kahle Haupt setzen können. Stattdessen benutzte es der Held des WM-Sieges von 1998 in einem Moment der unprofessioneller Unbeherrschtheit als Rammbock gegen Italiens Marco Materazzi, zerstörte damit den Titeltraum eines ganzen Landes und verschaffte sich einen schmachvollen Abgang, der in der Fußballhistorie wohl beispiellos ist. Die Enttäsuchung darüber wiegt fast schwerer als der verpasste Finalsieg.

Überhebliche FIFA

Ein anderer ehemaliger Weltfußballer bestach besonders durch seine Leistungen auf der Tribüne: Diego Armando Maradona feuerte die „Albiceleste“ voller Inbrunst an. Von vielen ob seiner Eskapaden und seinem Hang zu Theatralik und Show belächelt, verkörpert das kleine argentinische Genie jedoch die fleischgewordene Leidenschaft Fußball – und wirkt damit und darin allemal authentischer als die Herren Schlipsträger der FIFA, die das ganze Brimborium ja auch angeblich ausschließlich wegen der Liebe zum Fußball veranstalten. Gewisse Allmachtsansprüche und Resistenz gegen Kritik sind dem Fußball-Weltverband offenbar nicht ganz fremd. Das demonstrierte Präsident Sepp Blatter bereits vor dem Eröffnungsspiel, als er Pfiffe mit breitem Grinsen quittierte. Des Schweizers Credo schien zu lauten: „Was ficht mich der Unmut der Leute an, wenn die Stadien voll sind und die Sponsoren zufrieden?“ Über die Diskrepanz zwischen Fußballfans und -verdienern ist viel diskutiert worden, nur soviel sei gesagt: Blatters Grinsen symbolisierte eben diese Kluft. Dies war unerfreulich, ebenso wie die vereinzelten Ausschreitungen zwischen deutschen und polnischen bzw. englischen Hooligans. In Dortmund nahm die Polizei rund 400 Gewaltbereite in Gewahrsam, in Stuttgart rund 300. Selbst wenn die „Welt zu Gast bei Freunden“ ist – ohne die Ausfälle einiger Fehlgeleiteter verläuft ein Ereignis dieser Größenordnung eben leider doch nicht. Da passte auch der – seltsamerweise genehmigte – NPD-Aufmarsch in Gelsenkirchen während der ersten Spielwoche ins Bild, der zu den wenigen großen Ärgernissen zählte – und prompt von einer Gegendemo begleitet wurde.

WM der fairen Gesten

Ebenfalls nicht auf dem grünen Rasen, sondern eher am Rande geschah die wahrscheinlich größte Geste der WM. Daniel Nivel hatte die Einladung des Deutschens Fußball-Bundes angenommen und verfolgte die Vorrunden-Partie Deutschland-Polen in der Dortmunder-Arena – nicht unbedingt zu erwarten, denn im Vollbesitz seiner Kräfte ist der Franzose noch nicht wieder und wird es auch nie mehr sein. Zu groß sind die bleibenden Schäden, die Nivel vor ziemlich genau acht Jahren erlitten hatte. Eine Gruppe deutscher Hooligans hatte den Polizisten und Familienvater bei der WM 1998 im nordfranzösischen Lens auf menschenverachtende Weise fast zu Tode geprügelt. Seither ist der ehemalige Bereitschaftspolizist ein Pflegefall, das rechte Auge blind, der rechte Arm steif. Den Tätern von damals wird Nivel niemals verzeihen, aber mit seinem Besuch in Deutschland bewies er persönliche Größe, die in seinem Falle alles andere als selbstverständlich ist. Nivel und dem gesamten französischen Volks hätte der WM-Titel sicher gut getan. Im Herbst letzten Jahres brannten wochenlang die Banlieues, im Frühjahr protestierten hunderttausende Franzosen gegen den Erstanstellungsvertrag des Premierministers Dominique de Villepin (BUZe berichtete). Die französische Seele hätte also ein wenig Balsam vertragen können, es wäre ihr zu gönnen gewesen. Stattdessen müssen nun die Franzosen Größe zeigen angesichts des italienischen Triumphs nach Elfmeterschießen. Ebenso die deutschen Fans, war die „Squadra Azzura“ der Klinsi-Elf doch zum Verhängnis geworden. Aber Deutschland wäre ja irgendwo auch ein schlechter Gastgeber gewesen, wenn es beim zweiten Turnier im eigenen Land den Titel schon wieder behalten hätte.

Folko Damm