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Kategorie Politik
Ausgabe SoSe06 - 1
Autor Johannes Gütschow

Zwischen Interessen und Vertretung - Zum (Selbst)Verständnis studentischer Interessenvertretung

In den letzten Jahren gibt es verstärkt Diskussionen um die Aufgabe und die Kompetenzen der Verfassten Studierendenschaft und ihrer Organe. Vereinfacht kann man zwei Lager ausmachen. Ein Lager fordert eine serviceorientierte Studierendenschaft, das andere eine stark (allgemein)politisch tätige Studierendenschaft.

Die serviceorientierten Studierendenschaften bzw. deren Organe, also ASten, Fachschaften etc. stellen die unmittelbaren Bedürfnisse der Studierenden in den Vordergrund. Es geht ihnen darum, den Studierenden direkt und eben in ihrer Rolle als Studierende zu helfen und ihnen das Leben und das Studium leichter zu machen. Dazu werden Einführungswochen veranstaltet, jedes Jahr erweiterte Semestertickets angeboten, Partys organisiert und vieles mehr. Politische Aktivität der Gremien wird allgemein nicht gern gesehen, abgesehen von Themen, die primär die Studierenden und die Hochschule betreffen, wie beispielsweise Kürzungen im Hochschuletat. Auch politische Studierendenschaften legen ihr Hauptaugenmerk auf die Bedürfnisse der Studierenden – allerdings fassen sie diese etwas weiter. Die politische Aktivität wird als besonders wichtig angesehen und beschränkt sich nicht auf hochschulpolitische Themen, sondern umfasst explizit auch gesamtgesellschaftliche Probleme.

Streitpunkt zwischen den Selbstverständnissen ist die Ausrichtung der zusätzlichen Aktivitäten und der Stellenwert, der der Servicearbeit zugesprochen wird. Während in den serviceorientierten ASten der Service für die Studierenden eben die Hauptsache ist und die politische Aktivität fast mit darunter zählt, ist er bei politischen ASten eher ein „notwendiges Übel“. Dementsprechend werden auch andere Prioritäten gesetzt. Die einen kümmern sich Tag und Nacht um eine zusätzliche Strecke im Semesterticket, die anderen organisieren lieber eine Veranstaltung zur Demokratisierung in Kurdistan oder schreiben Artikel über die Föderalismusreform.

Verfechter der unpolitischen Studierendenschaft sehen in allgemeinpolitischen Äußerungen und Aktionen eine Kompetenzüberschreitung des AStA. Ihrer Meinung nach darf ein Organ der Studierendenschaft nach außen und innen nur das kommunizieren, was auch der Meinung aller Studierenden – oder zumindest der großen Mehrheit – entspricht. Gefordert wird dieses Verständnis immer wieder von Parteien – allen voran der CDU – die in politischen ASten eine außerparlamentarische Opposition und Konkurrenz zu ihren Jugendorganisationen sehen. Schon bei der Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft in Baden-Württemberg ließen CDU Politiker verlauten, dass sie an sich kein Problem mit politischen Studierendenvertretungen hätten, solange diese mit konservativem Nachwuchs besetzt wären. Politische ASten sind aber meist eher links ausgerichtet – ihre Aktiven sehen in den Gremien der Studierendenschaft oft eine Möglichkeit zu politischem Arbeiten abseits der Zwänge und Kompromisse, die eine Parteimitgliedschaft mit sich bringt. Auch eher konservative oder unpolitische Studierende vertreten teilweise vehement die unpolitische Lösung. Politisch Aktive außerhalb der Parteien – und teilweise auch der Nachwuchs innerhalb derselben – sehen aber Probleme in der Gesellschaft oder dem politischen System selbst, die etablierte Parteien nicht angehen wollen oder können und die deshalb durch außerparlamentarische Kräfte thematisiert werden müssen.

Auch in der Art politisch aktiv zu werden unterscheiden sich die Konzepte. Das Servicekonzept vertritt eine Lobbypolitik, die in der etablierten Politik Sympathien für Studierende wecken und dadurch in, Zusammenhang mit Beratung, zu einer studierendenfreundlicheren Politik führen soll. Im politischen Konzept wird Lobbyarbeit für unsinnig gehalten. Vielmehr soll durch Druck, erzeugt durch Massenproteste und die damit verbundene Öffentlichkeit der Diskussion und der Argumente, eine andere Politik erreicht werden. Auch wegen dieser verschiedenen Politik-Stile sind die unpolitischen Studierendenschaften in der Politik beliebt. Ihr Wissen über Missstände bringen sie ein; die Politik kann sich aussuchen, welche dieser Missstände sie beheben und welche sie ignorieren möchte, ohne hinterher mit besetzten Parteibüros und schlechter Presse rechnen zu müssen.

Befürworter politischer ASten sind also einerseits Menschen mit politischen Vorstellungen, die in den etablierten Parteien keine Chance haben, aber auch Parteimitglieder, die in den Studierendenschaften eine zusätzliche gesellschaftspolitische Kraft sehen, die erhalten werden muss. Ein weiterer Grund für politische Studierendenschaften ist die damit verbundene Befriedung und Einbindung Aktiver. Der Präsident der TU, Prof. Hesselbach, befürwortet beispielsweise die verfasste Studierendenschaft mit politischem Mandat, da ihm eine fundierte und transparent organisierte Opposition lieber ist als radikale, undurchsichtig organisierte Gruppen.

Das oben erwähnte sogenannte „politische Mandat“ ist ein Hauptstreitpunkt im Konflikt der (Selbst)Verständnisse der ASten. Die politische Fraktion fordert ein allgemeinpolitisches Mandat und damit eine Anerkennung der Studierenden als eigenständige politische Kraft. Die unpolitische Fraktion fordert die Abschaffung eben dieses Mandats, soweit es überhaupt existiert. Diesem Konflikt liegen auch unterschiedliche Auffassungen des Mandats zugrunde: Von den Unpolitischen wird es als imperatives Mandat wahrgenommen, das den Gremien der Studierendenschaft ermöglicht für alle Studierenden zu sprechen – im Sinne von „Die Studierenden sind der Meinung, dass ...“. Von politischen ASten wird das Mandat als Mandat zur Information der Studierenden und als Mandat, ihre Meinung auch zu allgemeinpolitischen Themen mitteilen zu dürfen, verstanden. Die Aktiven werden für und mit ihrer Meinung gewählt und vertreten nach außen eben diese Meinung, nicht notwendigerweise die der Mehrheit der Studierenden. Das können und dürfen sie auch nicht behaupten. Ein oft vorgebrachter, ganz pragmatischer Grund für ein allgemeinpolitisches Mandat ist die Untrennbarkeit von Hochschule und Gesellschaft. Wenn beispielsweise an den Hochschulen gekürzt wird und Studiengebühren eingeführt werden, wie sollen Studierendenschaften die Hintergründe anprangern, wenn ihnen für alles außerhalb der Hochschule der Mund verboten wird? Außer einem „wir sind aber wichtig und wollen mehr Geld“ bleiben nicht viele Möglichkeiten. Entsprechend wird der von Unpolitischen organisierte Protest gegen Kürzungen auch oft zu einem Feldzug gegen andere ebenfalls Betroffene. Im Rahmen der Proteste gegen das „Hochschuloptimierungskonzept“ (HOK) im Wintersemester 03/04 war aus dem AStA der Uni Göttingen zu hören, man solle doch bitte vermeintlich schlechtere „Standorte“ schließen, anstatt an der Uni Göttingen zu kürzen. Solche Standortpolitik bekämpft nur Symptome der angeprangerten Politik, nicht aber ihre Ursachen, denn die liegen weit im Allgemeinpolitischen und sind so unerreichbar. Politische ASten möchten meist die Ursachen bekämpfen, nicht nur die Symptome. Sie setzen sich für solidarische Politik ein, die eben nicht die lokale Bezugsgruppe oder Wählerschaft über andere stellt, sondern sich für alle gleichermaßen einsetzt. Dabei wird versucht, den gesamtgesellschaftlichen Kontext zu sehen, beim Thema Bildungsfinanzierung beispielsweise auch auf die Situation an KiTas einzugehen und sich nicht auf Studiengebühren zu beschränken. Ihre Kritiker sind oft der Meinung, die Beschäftigung mit hochschulpolitischen Themen würde dabei zu kurz kommen. Insgesamt aber ist die politische Macht der Studierendenschaften sowieso nicht besonders groß. Ohne politisches Mandat wird sie auf rein beratende Funktion beschränkt. Mit politischem Mandat können gesamtgesellschaftliche Themen zumindest angesprochen und den Studierenden näher gebracht werden. Dadurch kann im Endeffekt auch politischer Druck ausgeübt werden, sofern sich genug Studierende oder andere Bevölkerungsgruppen angesprochen fühlen. Ohne Basis bleibt nur das Geben von Ratschlägen.

Welche Vor- und Nachteile bieten die verschiedenen Modelle der studentischen Interessenvertretung also? Das unpolitische Modell ist vor allem bequem. Es wird viel Service geboten, sich ein bisschen um Hochschulpolitik gekümmert und nach außen die Meinung der Mehrheit der Studierenden vertreten – wenn diese sich überhaupt eine Meinung bilden. Denn durch die bequeme Politik ohne Ecken und Kanten, beschränkt auf den Kern der oberflächlichen studentischen Interessen, wird selbständiges Nachdenken über diese Themen nicht gefördert, schließlich wird man vertreten. Im politischen Modell gibt es auch Service, aber vielleicht ein bisschen weniger. Dafür wird mehr Wert auf Politik gelegt, vieles hinterfragt und kritisiert und stark die Allgemeinpolitik betrachtet. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, größere Bevölkerungsgruppen zu erreichen und auch gemeinsam mit anderen Gruppen Ursachen für politische Missstände aufzuzeigen. Viele Themen, die Studierenden nicht in ihrer Funktion als Studierende, sondern als Menschen betreffen oder erst später betreffen werden, werden so zur Sprache gebracht. Dabei wird aber nicht mehr notwendigerweise die Meinung einer Mehrheit der Studierenden vertreten, sondern die Meinung der in die Gremien gewählten Menschen. Bei der allgemeinpolitischen Tätigkeit kommt es zwangsläufig zu mehr Konflikten mit Studierenden, die eben nicht die Meinung der Gewählten teilen. Es wird oft sehr viel kritisiert, auch andere aktive Studierende (z.B. Bonding durch den AStA der TU). All das stößt bei vielen übel auf. Politische ASten sind eben nicht bequem. Sie kritisieren, sie stellen radikale Thesen auf, sie provozieren. Provokationen erwarten Reaktionen, erwarten von Studierenden, aktiv zu werden. Politische ASten verlangen den Studierenden mehr Mitarbeit und Beteiligung ab. Dafür bieten sie ihnen die Chance, sich fernab vom Mainstream zu informieren und weiterzubilden – und die Chance wirkliche Veränderungen in der Gesellschaft zu diskutieren und mit anzustoßen.