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Ausgabe WS0708 - 7
Autor Johannes Kaufmann

Im Gespräch mit einem Sikh (gekürzte Fassung)

"Die göttliche Wahrheit ist paradox"

Atma Singh (geb. Florian Harazim) (26) hat vor einem Jahr nach zehn Semestern sein Studium der Freien Kunst an der HBK erfolgreich abgeschlossen. Er ist Angehöriger der Religion des Sikh Dharma und ist zur Zeit hauptberuflich als Yogalehrer in Braunschweig tätig. Das Interview führte Johannes Kaufmann.

BUZe: Wie wurde innerhalb deiner Familie in deiner Jugend mit dem Thema Religion umgegangen?

Atma: Sehr frei. Meine Eltern [katholisch] haben mich nicht getauft, weil sie mir diese Entscheidung offen lassen wollten. Gleichzeitig haben sie aber auch meine Auseinandersetzung mit dem Thema Religion gefördert und mit mir darüber gesprochen. Ich hatte eine Zeit lang einen ziemlichen Widerstand gegenüber Kirche und Christentum. Erst viel später habe ich mich durch das Yoga auch wieder dem christlichen Glauben angenähert.

BUZe: Wie bist du zu deiner Religion gekommen und aus welchen Gründen?

Atma: Im Alter von 19 Jahren bin ich zuerst einmal zum Yoga gekommen. Und über das Yoga habe ich später das Sikh Dharma kennen gelernt. Sikh Dharma bedeutet Schüler der Wahrheit. Ich habe schon immer gewusst, dass Wahrheit nichts theoretisch Erklärbares ist. Wahrheit muss man verwirklichen und zwar in sich selbst. Sikh Dharma ist ein Weg der Erfahrung, ein sehr lebendiger Weg, bei dem es darum geht, Gott in allem zu sehen. Es ist eine undogmatische Religion; eine friedliche Religion, die sich aber intensiv mit dem Thema Gewalt auseinandergesetzt hat; eine Religion, die nicht missioniert, in der ein Gottesbild vorherrscht, das nicht an eine bestimmte Form gebunden ist und in der es darum geht, seine Liebe zum Göttlichen in der Gemeinschaft zu leben.

BUZe: Woran genau glauben die Sikh? Was macht den Inhalt dieser Religion aus?

Atma: Wir glauben an den selben Gott, zu dem auch die anderen Monotheisten beten. Der wichtigste Weg zur Verwirklichung ist für uns das Singen und Meditieren mit spirituellen Texten und Mantras. Wie in den anderen Religionen gibt es ein heiliges Buch, das Siri Guru Granth Sahib. Und es gibt Menschen, die auf eine besondere Weise die ethischen Inhalte des Glaubens verkörpert haben: die zehn Gurus. Die sind zu vergleichen mit den Propheten des Christentums: weise Lehrer, auf die man sich als Beispiele bezieht. Der letzte dieser Gurus hat gesagt: Es gibt nur einen wahren Guru, und das ist das göttliche Wort. Damit hat er sich selbst relativiert und das göttliche Wort über sich gestellt.

BUZe: Wenn dieses Wort über die Gurus zum Menschen gekommen ist, hat er sich doch nicht relativiert, sondern sein Wort letztlich heilig gesprochen.

Atma: Im Gottesdienst wird das Buch befragt, indem man es an bestimmten Stellen oder auch zufällig aufschlägt. Das Buch hat dadurch eine autonome Präsenz wie eine eigene Wesenheit bekommen. Es hat aber keine menschlichen Fehler.

BUZe: Und was ist mit den Fehlern seiner Autoren?

Atma: Seine Autoren waren ganz besondere Menschen, die eine außergewöhnliche Reinheit besaßen und die das göttliche Wort empfangen und in eine Form gebracht haben. Das Buch enthält übrigens auch Texte von Lehrern aus anderen Traditionen wie dem Sufismus [Mystiker des Islam] und von anderen Mystikern.

BUZe: Im Sikhismus gibt es keine Heiligen oder Priester, die zwischen Gläubigen und Gott vermitteln. Die Möglichkeit zur Erleuchtung steckt in jedem Einzelnen. Führt das nicht zu Widersprüchen, wenn der Einzelne auf seinem individuellen Weg zu Gott sich von den Lehren der Gurus entfernt?

Atma: Es gibt natürlich eine Evolution innerhalb der Religion. Schließlich ist die Religion ein Konstrukt, das vom Menschen geschaffen wurde, das aber immer den gleichen Zweck hat, nämlich die eine göttliche Essenz in der Welt zu repräsentieren. Wenn also jemand eine tiefe Verbindung zu Gott hat und dadurch inspiriert eine neue Religion gründet, dann steht das nicht im Widerspruch zum Sikh Dharma.

BUZe: Wie gelingt es, die Einheit zu bewahren – gerade wenn man bedenkt, dass sich die New Age-Bewegung nur zu gern auf fernöstliche Weisheiten stürzt? Wie kann das Ganze ohne Deutungsinstanz, ohne Priester und ohne Dogmen, zusammengehalten werden?

Atma: Es gibt immerhin die Lehre aus dem heiligen Buch.

BUZe: Aber die kann ohne Schutz für jede esoterische Patchwork-Religion zurechtgestückelt werden.

Atma: Missbrauch von religiösen Inhalten kann nie ausgeschlossen werden. Dadurch, dass die Lehrer selbst ihre Erkenntnisse niedergeschrieben haben, ist jedoch das Bestmögliche zum Schutz der Lehre getan worden. Natürlich entstehen verschiedene Meinungen, aber die eigentliche religiöse Praxis besteht nicht im Diskutieren, sondern im Versuch, über die Meditation einen direkten Zugang zu bekommen. Außerdem gibt es zwar keine Priester im Sikh Dharma, wohl aber spirituelle Lehrer, die von Natur aus eine bestimmte Tiefe, eine Erleuchtung, erreicht haben.

BUZe: Der Sikhismus war ursprünglich eine aufklärerische Bewegung, die sich gegen Aberglauben und unsinnige Rituale richtete. Auf deiner Homepage www.kundaliniyoga-braunschweig.de bin ich über Numerologie-Kurse gestolpert. Wie passt das zusammen? Der Sikhismus betont die Wahrheit durch Erfahrung. Numerologie kann man aber sicher nicht als Erfahrungswissenschaft bezeichnen.

Atma: Ich mache täglich die Erfahrung der Wahrheit der Numerologie.

BUZe: Es steckt demnach absolute Wahrheit in einem Geburtsdatum, das von der Kalenderzählweise einer Kultur abhängig, letztlich also quasi willkürlich ist?

Atma: Wenn es eine absolute Wahrheit gibt, dann hat sie alles geschaffen, dann gibt es auch keinen Zufall. Es ist also auch kein Zufall, dass ich an einem bestimmten Datum in einem bestimmten Kalendersystem geboren wurde. Dann bleibt nur die Frage, wie ich einen Zugang zu dieser Wahrheit bekommen kann. Alle esoterischen Systeme und Religionen sind ein Versuch, einen Einblick in die tiefere Wahrheit der Schöpfung zu gewinnen. Numerologie ist ein Weg. Der tiefere Sinn der Numerologie besteht darin, die Gesetzmäßigkeiten zu verstehen, auf denen alles beruht. Die gleichen Wissenschaftler, die Numerologie als Aberglaube abtun, benutzen ja selbst Zahlen, weil sie zu der Erkenntnis gelangt sind, dass sich das Leben nicht weiter abstrahieren lässt als auf Zahlen. Die Zahlen sind die abstrakte Essenz der Schöpfung.

BUZe: Was ist denn Aberglaube in der Vorstellung der Sikh? Elektromagnetische Felder (Auren), die unsere Körper aussenden und die unsere Umwelt beeinflussen können, gehören deiner Seite zufolge nicht dazu. Wissenschaftlich betrachtet, dürfte die Zuordnung eindeutig sein.

Atma: Damit gibst du von dir selbst preis, dass du an die Naturwissenschaft glaubst. Doch die Naturwissenschaft bedient sich nur eines begrenzten Teils unserer Wahrnehmung, nämlich des Visuellen und des Rationalen, mit dem nur ein kleiner Teil der Realität erfasst werden kann. Deshalb betont die Naturwissenschaft ja selbst die Relativität ihrer Erkenntnisse. Aber ein bedeutender Teil der wirklich großen Wissenschaftler wurde durch spirituelle Texte oder durch direkte Meditation inspiriert. Aberglaube bedeutet, etwas Relatives für absolut zu halten. Viele Menschen klammern sich zu sehr an die äußere Form ihrer religiösen Riten, Symbole und Idole und vergessen die eigentliche Essenz, für die sie stehen. Guru Nanak kam in die Welt, um uns daran zu erinnern, dass hinter all dem dieselbe Essenz steht, und dass sich in ihr alle äußeren Widersprüche auflösen. Nur weil etwas wissenschaftlich nicht erwiesen ist, muss es deshalb nicht unwahr ist.

BUZe: Deine eigene Erfahrung hat dir also bestätigt, dass die Veränderung deiner Aura Einfluss auf deine physische Umwelt nimmt?

Atma: Ja. Das hat zu tun mit der Wissenschaft des Yoga – einer Erfahrungswissenschaft, die über das Rationale hinausgeht. Im Yoga gibt es sehr tiefgehendes Wissen über die verschiedenen Teile des menschlichen Wesens. Einer dieser Wesensteile ist die Aura, ein elektromagnetisches Energiefeld, das den Körper umgibt und welches auch messbar ist. Durch dieses Feld können wir schädliche Dinge abstoßen und nützliche Dinge anziehen. Durch Yogatechniken kann diese Fähigkeit gestärkt werden.

BUZe: Zurück zur Religion: Du hattest vorhin gesagt, die Sikh glauben an einen Gott ohne Form, der in der Beobachtung der Natur erfahrbar ist. Wie könnt ihr dem Formlosen Eigenschaften zuschreiben? Woher weißt du, dass es ein liebender Gott ist, wenn Liebe nun nicht gerade eine primäre Kraft in der Natur ist?

Atma: Das schwierige bei einem Gottesbild ist immer, dass man etwas beschreibt, das nicht beschrieben werden kann. Das ist paradox. Aber auch die Wahrheit ist paradox. Immer wenn ich entweder oder sage, blende ich eine Seite der Realität aus. Wenn ich mich dem Paradox aber stelle, nämlich in der direkten Erfahrung, wo Gegenteile gleichzeitig wahr sein können, öffnet sich eine tiefere Ebene. Woher ich weiß, dass Gott ein liebender Gott ist? Ich weiß es aus der Erfahrung in meinem eigenen Herzen. Das ist kein wissenschaftliches, messbares Wissen. Es wäre nicht Liebe, wenn es sich messen ließe. Man muss die Möglichkeit der Existenz Gottes zulassen. Ich kann entweder sagen, solange mir Gott nicht bewiesen ist, glaube ich nicht an ihn. Oder ich weiß nicht, ob es ihn gibt, aber ich springe – ins Leere. Und wenn es ihn gibt, wird er mich auffangen. Das ist ein Schritt, der Mut erfordert – Mut, offen zu sein für die Erfahrung. Das Paradoxe ist, dass wir den Beweis fordern, bevor wir springen, doch wenn wir den Mut zu Springen nicht haben, werden wir den Beweis niemals erfahren.

BUZe: Im Sikh Dharma steht die spirituelle Erfahrung, nicht die philosophische Debatte im Mittelpunkt. Kann dein Glaube auch einem Skeptiker wie mir etwas bieten, der noch nie spirituelle Erfahrungen gemacht hat und daher nichts damit anfangen kann?

Atma: Guru Nanak hat gesagt, dass es keinen Sinn hat, über die absolute Wahrheit zu diskutieren. Was du brauchst, ist nicht Glaube, denn Glaube ohne Erfahrung ist naiv. Aber ist es nicht leidvoll, unentwegt alles anzuzweifeln? Wenn dir bewußt wird, wie leidvoll das ist, bist du vielleicht bereit, das ultimative Experiment zu wagen: Ein Experiment, das erfordert, deine eigene Meinung zu opfern, um endlich zu erfahren, ob es Gott gibt oder nicht, und in dem du gleichzeitig der Wissenschaftler und das Versuchsobjekt bist. Gott ist überall. Wenn wir ihn nicht sehen, liegt das an unserer eigenen Blindheit. In unserem Sadhana [täglichen spirituellen Übungen] begeben wir uns in eine rezeptive Haltung. Dabei geht es darum, den eigenen Verstand loszulassen. Dadurch ist es leichter möglich, den göttlichen Segen zu empfangen, denn Gott kann nicht bewiesen werden.

BUZe: Um Gott zu erleben, muss ich also meinen Verstand ausschalten. Wenn ich das nicht kann oder will, wird es mir nicht gelingen, mein spirituelles Initialerlebnis zu machen?

Atma: Dieses Erlebnis ist bei jedem anders. Natürlich gibt es bestimmte Riten, aber die haben keine Bedeutung, wenn es nicht aus dem Herzen kommt. Es muss nicht immer eine blitzartige Erleuchtung sein. Manchmal sind es kleinere Erlebnisse, die dich auf den Weg bringen, und oft ist das auch mit Leid verbunden. Oft sucht man in Leid oder in Krisen einen tieferen Sinn und verspürt dabei in sich eine Sehnsucht, die den Weg weist.

BUZe: Du hast mehrfach den paradoxen Charakter der Wahrheit angesprochen. Wird es dadurch nicht etwas beliebig? Wenn jede Aussage auch ihr Gegenteil enthält, immunisiert man sich gegen Kritik, weil nichts (an)greifbar ist. Wissenschaftliche Theorien beispielsweise müssen stets kritisierbar sein.

Atma: Wenn die Wissenschaft auf der Möglichkeit der Widerlegbarkeit beharrt, beweist sie damit doch nur ihre eigene Relativität. Nun kann man natürlich daran zweifeln, dass es etwas Absolutes gibt. Im Grunde erklärt sich das aber von selbst, denn das Wort relativ ergibt ohne das Gegenteil des Absoluten keinen Sinn. Wenn die Wissenschaft die Relativität ihrer Erkenntnisse eingesteht, enthält das indirekt das Bekenntnis zu etwas Absolutem. Aber das ist letztlich die Schlussfolgerung jedes spirituellen Systems. Dass man Am Ende zu dem Satz kommt: So ist es nun einmal.

BUZe: Und damit gelangt tatsächlich jede Diskussion an ihr Ende. Ich danke für das Gespräch.