Menu:

Kategorien


Internationales
BUZe kontrovers
Feuilleton
Studentische Initiativen
Im Gespräch mit...
Politik
Sonstiges
Aus den Fakultäten
Rezensionen
Regionales
Editoriale
Buschlinger ist sauer
Studentenleben
Der Nestbeschmutzer
Kategorie BUZe kontrovers
Ausgabe WS0708 - 7
Autor Johannes Gütschow

Weg mit dem Atomstrom!

Der Rummel um die Rolle des Kohlendioxids bei der Klimaerwärmung lässt viele Atromkraftbefürworter auf eine Renaissance der Kernenergie hoffen. Da der CO2-Ausstoß pro erzeugter Kilowattstunde Strom wesentlich geringer ist (je nach Urangehalt des abgebauten Erzes) als bei fossilen Energieträgern, lässt sich die Kernenergie als umweltfreundlich verkaufen. Kernenergie ist aber mitnichten umweltfreundlich. Nur die aktuelle Fixierung auf CO2 als „Klimakiller“ lässt diese Argumentation zu. Viele Gründe sprechen für einen zügigen Ausstieg aus der Kernenergie.

Ein erster Kritikpunkt sind die Kraftwerke selbst. Störfälle können, wie in Tschernobyl (1986)*, Harrisburg (1979) und Sellafield (1957), große Mengen radioaktiver Partikel freisetzen, die sich über große Regionen verteilen können. In Deutschland herrschen zwar hohe Anforderungen an die Sicherheit der Kernkraftwerke, ausgeschlossen sind Störfälle mit Kernschmelze in den Meilern, die sich im Moment in Betrieb befinden, aber nicht.*2

Mittlerweile gibt es Kraftwerksdesigns, bei denen eine Kernschmelze konstruktionsbedingt ausgeschlossen ist (modularer Hochtemperaturreaktor − HTR)*3. Es bleibt jedoch die Gefahr, dass die Reaktoren aufgrund menschlichen Versagens oder Materialfehlern nicht die nötigen Voraussetzungen für ihre „Katastrophenfreiheit“ erfüllen. Die Störfälle in den norddeutschen Kraftwerken Brunsbüttel und Krümmel sowie der schwere Störfall im schwedischen Kraftwerk Forsmark zeigen, dass auch im Westen mangelhafte Materialien, falsch aufgebaute Anlagen und Bedienfehler an der Tagesordnung sind. Auch der einzige HTR-Prototyp in Deutschland kam durch einen Störfall in die Schlagzeilen und wurde später abgeschaltet. Unfälle in Atomkraftwerken werden außerdem gerne von den Betreibern verheimlicht. Denn auch kleinere Störfälle beeinflussen die Akzeptanz von Kernkraftwerken. Dazu kommen direkte ökonomische Gründe. Jeder Tag Stillstand eines Rektors bringt etwa eine Million Euro Gewinneinbußen mit sich. Es lohnt sich also, einen Störfall zu verheimlichen, um den Reaktor schneller wieder anfahren zu können. Der ökonomische Faktor spielt auch bei der Laufzeitverlängerung und dem Neubau von Kraftwerken eine Rolle. Nicht das sicherste Kraftwerk wird in Betrieb gehalten bzw. neu gebaut, sondern das ökonomisch lohnendste. Obwohl es „katastrophenfreie“ Reaktoren gibt, ist also nicht automatisch gewährleistet, dass sie auch gebaut werden. Denn einige Modifikationen an den klassischen Druckwasserreaktoren genügen, um den Anforderungen an neue Atomreaktoren in Deutschland zu genügen. Eine Kernschmelze wird so jedoch nicht ausgeschlossen.*4

Mit sicheren Reaktoren ist noch lange keine sichere Nutzung der Kernkraft erreicht. Auch wenn verhältnismäßig wenig Abfall entsteht, hat der es in sich. Abgebrannte Brennelemente strahlen für zehntausende von Jahren, und für diese Zeit müssen sie sicher aufbewahrt werden. Auch nach Kriegen, Wirtschaftskrisen, Eiszeiten oder anderen Einschnitten in die Entwicklung der Menschheit müssen die Abfälle sicher und vor allem erkennbar gelagert sein. Radioaktive Strahlung sieht und spürt man nicht direkt, Krankheiten treten oft erst Jahrzehnte später auf. Die Endlagerung des Atommülls bleibt eine große Herausforderung.

In Deutschland gibt es ein Endlager (Morsleben), ein „Versuchsendlager“ (ASSE II), einen genehmigten Endlagerstandort (Schacht Konrad) und einen Standort der untersucht wird (Gorleben). Außer Schacht Konrad handelt es sich bei allen Standorten um Salzstöcke. Von der Lagerung in Salzstöcken verspricht man sich eine sichere Einschließung des Atommülls. Allerdings gibt es viele Probleme wie Zuflüsse von Laugen, die das Salz auflösen und auch die Fässer mit dem radioaktiven Abfall angreifen. Unter anderem aus diesen Gründen wird eine Endlagerung in Salz beispielsweise in den USA und Kanada nicht weiter verfolgt.*5 Morsleben war das Endlager der DDR und wurde nach der Wende ohne Prüfung auf Sicherheit weiter zur Einlagerung von Atommüll benutzt. Erst 1998 beendete eine Klage die Einlagerung in das marode Bergwerk. Über die Schließung des „Versuchsendlagers“ ASSE II wird gerade lebhaft diskutiert (BUZe 01/07 berichtete). In Gorleben wurde die Erkundung des Salzstocks 2000 unterbrochen. Im Schacht Konrad, einem ehemaligen Erzbergwerk in Salzgitter, sollen schwach wärmeentwickelnde Abfälle, die etwa 90% Prozent des Volumens und 0,1 Prozent der Radioaktivität des deutschen Atommülls ausmachen, eingelagert werden. Das Endlager ist mittlerweile genehmigt. Allen Standorten gemein sind Zweifel an ihrer Eignung und Kritik an ihrer Auswahl. Es wurden in keinem Fall vergleichende Studien angefertigt, sondern einfach ein Standort ausgewählt und auf Eignung überprüft. Daran lässt sich erkennen, dass hier politische und nicht wissenschaftliche Gründe ausschlaggebend sind. Gerade die größten Befürworter der Kernenergie wie Bayern und Baden Württemberg lehnen eine ergebnisoffene Suche ab.

Neben der Lagerung ist auch der Transport zu den Endlagern kritisch. Trotz hoher Sicherheitsauflagen sind Pannen und ökonomisch bedingte Schlamperei (Zeit ist Geld, auch bei Atommülltransporten) nicht ausgeschlossen.

Es besteht also nach wie vor die Gefahr einer radioaktiven Verseuchung der Umwelt. Was aber sind deren Folgen?

Strahlenkrankheit als Folge einer Strahlenexposition kann im Extremfall tödlich sein. In Tschernobyl und Harrisburg starben jeweils rund 30 Menschen, die direkt im Kraftwerk gearbeitet hatten. Bei geringeren Dosen steigt das Risiko, an Krebs zu erkranken – insbesondere bei Kindern. Für Tschernobyl gibt es Schätzungen, dass von den stärker verstrahlten Anwohnern und Aufräumarbeitern etwa 9.300 an strahlenbedingtem Krebs sterben werden.*6 Für genaue Aussagen fehlen ausreichend verlässliche Daten über die Strahlendosen einzelner Personen. Untersuchungen nach dem Atombombenabwurf von Hiroshima zeigen außerdem, dass auch 50 Jahre nach der Verstrahlung das Krebsrisiko signifikant höher ist. Es ist also noch zu früh um – selbst mit ausreichenden Messwerten – abschließende Aussagen über die Opfer in Tschernobyl machen zu können.

Schlimmer als die direkten gesundheitlichen sind die sozialen Folgen des Reaktorunfalls. Ein erhöhtes Krebsrisiko bedeutet ein Leben in Angst vor Erkrankung, selbst wenn das Risiko faktisch nur minimal erhöht ist. Unter den Aufräumarbeitern ließ sich beispielsweise eine erhöhte Selbstmordrate feststellen. Um die Strahlenexposition der Bevölkerung niedrig zu halten, wurden Menschen aus kontaminierten Gebieten zwangsweise umgesiedelt. Die sozialen Folgen sind nicht zu vernachlässigen.

Der dritte Grund, der gegen eine friedliche Nutzung der Kernenergie spricht, ist ihre militärisch Nutzung. Wie schwer zwischen der Absicht friedlicher und militärischer Nutzung zu unterscheiden ist und welche politischen Folgen das haben kann, sehen wir am Beispiel Iran fast täglich in den Nachrichten. Obwohl sicherlich einiges durch politische Interessen übertrieben wird, ist die Problematik im Kern durchaus vorhanden. Anlagen zur Urananreicherung zur Stromerzeugung sind genauso für militärische Zwecke zu gebrauchen. Um eine höhere Anreicherung zu erreichen (>90 Prozent für militärisch Nutzung gegenüber <5 Prozent für friedliche Nutzung), verwendet man einfach mehr Zentrifugen hintereinander. Der Unterschied zwischen Anreicherung für friedliche und militärische Zwecke liegt also nur in der Größe der Anlagen bzw. der Zeit, die für die Anreicherung gebraucht wird, nicht in ihrer Art.

Mit dem Reaktortyp „Schneller Brüter“ lässt sich aus Natur-Uran waffentaugliches Plutonium erbrüten. Man benötigt lediglich eine Ladung Plutonium für den Start des Reaktors. Danach produziert er mehr neues Plutonium, als er verbraucht. Ohne einen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist ein Ausstieg aus oder wenigstens eine Nichtverbreitung der militärischen Nutzung kaum zu überwachen.

Es gibt also viele Gründe, aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie zur Energieerzeugung auszusteigen. Rufe nach einer verstärkten Nutzung der Kernenergie ignorieren nicht nur deren Risiken, sondern auch ihre unklare Zukunft in Bezug auf die Ressourcen an spaltbarem Material. Die momentan bekannten Ressourcen reichen noch für etwa 40-60 Jahre, wenn sich die Anzahl der Kraftwerke nicht ändert. Brutreaktoren nutzen die Kernbrennstoffe besser aus, sind aber unsicherer. Momentan wird weltweit 17 Prozent des Stromes durch Kernenergie erzeugt, gegenüber 64 Prozent aus fossilen Energieträgern. Die Anzahl der Kernkraftwerke müsste also drastisch erhöht werden, um einen signifikanten Anteil der Kohlekraftwerke zu ersetzen. Damit stiege auch das Risiko eines schweren Unfalls.

Steigt man aus der Kernenergie aus, ist es aber nicht damit getan, die Kraftwerke im eigenen Land abzustellen. Politisch muss darauf hingewirkt werden, einen globalen Ausstieg zu erreichen. Für die Politik im eigenen Land bedeutet das zum Beispiel, ein Verbot für deutsche Firmen, Kernkraftwerke im Ausland zu bauen und Bauteile zu exportieren. Auch der Import von Atomstrom aus dem Ausland, womöglich aus Kraftwerken mit wesentlich niedrigeren Sicherheitsstandards, sollte tabu sein.

Auch die Frage der Alternativen muss sinnvoll geklärt werden. Neue Kohlekraftwerke zu bauen, ist angesichts der Erderwärmung und ihrer ähnlich der Kernenergie nicht direkt sichtbaren und schwer abschätzbaren Folgen unverantwortlich. Durch großzügige Vergabe von Emissionsrechten an Betreiber von Kohlekraftwerken wird jedoch genau dies von der Bundesregierung belohnt. Auch einige der „regenerativen“ Energieträger richten mehr Schaden als Gutes an. Für die Herstellung von Biosprit aus Palmöl werden beispielsweise Regenwälder brandgerodet, was große Mengen an CO2 freisetzt und gleichzeitig die Aufnahme von CO2 durch den Regenwald verringert.

Wirksamen Umweltschutz betreibt man weder mit Kern- noch mit Kohlekraftwerken. Vor allem der Energieverbrauch muss verringert werden. Das gilt nicht nur für Strom, sondern insbesondere auch für Autos, die großen Anteil am CO2-Ausstoß haben und hierzulande im Durchschnitt viel zu viel Sprit verbrauchen. In Entwicklungsländern sollten von vorn herein regenerative Energien bevorzugt werden. Dazu müssten die westlichen Industrieländer ihre Technologien zur Verfügung stellen. Wer es mit dem Umweltschutz ernst meint, der schaut nicht nur auf die eigenen ökonomischen Interessen. Dass die Menschheit auf Kosten der Natur und die Menschen in den Industrieländern auf Kosten derer in den Entwicklungsländern leben, lässt sich weder durch Kernkraft noch durch Biosprit verhindern, sondern nur dadurch, dass sich alle bemühen, verantwortungsvoll mit Ressourcen umzugehen.

Johannes Gütschow


  • * Physik Journal, April 2006, S. 29-49
  • *2 Physikalische Blätter, November 2001, S. 34
  • *3 Physikalische Blätter, November 2001, S. 33-38
  • *4 Physikalische Blätter, November 2001, S. 34-35
  • *5 anti atom aktuell, Juni 2005, S. 22f
  • *6 Physik Journal, April 2006, S. 41

Her mit dem Atomstrom!, entgegnet Martin Försterling in der BUZe 04/07.

Auch unser StudiVZ-Gastautor Tobias Schwarz vertritt eine andere Meinung.