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Kategorie Rezensionen
Ausgabe WS0708 - 7
Autor Nico Dorn

“So weird!" - David Lynchs "Inland Empire"

David Lynch hat es schon wieder getan

 

Eine Nadel holpert durch die Rillen einer Schellackplatte, ein polnisch sprechendes Paar geht auf ein Zimmer, eine weinende Frau sitzt vor einem Fernseher ohne Bild, Menschen in Hasenkostümen verkörpern das Personal einer Sitcom. Auftritt. Applaus. Einer der Hasen: “What time is it?” Wohlwollendes, aufrichtig amüsiertes Gelächter aus dem Off. Ein guter Witz!

Es fällt nicht leicht über Inland Empire, David Lynchs jüngsten Film, zu schreiben. Denn die einzige allgemeine Aussage, der wohl jedermann zustimmen könnte, ist, dass es sich bei ihm um einen dreistündigen Albtraum handelt. Ein verwirrendes Konglomerat aus rätselhaften Bildern und Dialogen, aus Schockmomenten und – auffällig selten – absurdem Witz. Versuche, die oft irritierenden Details zu deuten, müssen wohl vage, subjektive, allenfalls durch persönliche Gefühle gestützte Meinungsäußerungen bleiben. Nicht umsonst wird die Frage nach der Zeit gleich in einer der ersten Szenen ins Panoptikum der Absurditäten verwiesen, denn das Geschehen der nächsten Stunden lässt sich weder logisch noch chronologisch vollständig fassen. Wovon sein Film handelt, wusste bei der Premiere im September 2006 auf der Biennale in Venedig nicht einmal Lynch selbst zu sagen.

Natürlich gibt es Motive, die dazu einladen, sich an ihnen zu orientieren, sie nachzuerzählen. Das Wichtigste an einer solchen Nacherzählung wäre jedoch die Feststellung, dass alles, was sich in Worte fassen lässt, bestenfalls zeitlich befristeten Halt gewährt. So kann man zwar (scheinbar) problemlos behaupten, dass eine von Laura Dern verkörperte Schauspielerin in Inland Empire einen Film dreht (mit Jeremy Irons als Regisseur). Da sich der Film im Film aber tief in den Hauptfilm hineinfrisst, ist es unmöglich eine Grenze zwischen diesen beiden Erzählebenen zu ziehen. Sie als hierarchisch voneinander getrennt zu begreifen, scheint unpassend. Sie schieben sich nicht über-, sondern ineinander. Dern (alarmiert): “Something’s happened! I think my husband knows about you… about us. He’ll kill you… and me, he’ll… [lachend:] Damn! That sounds like a dialogue from our script!” – Irons: “Cut! Cut it! What’s going on?” – Dern (verwirrt): “What?”

Wer schon einmal einen Film von Lynch gesehen hat, der hat es längst gemerkt: Lynch hat sich mit Inland Empire ganz gewiss nicht neu erfunden. Die szenischen Motive, das Milieu, die Erzählweise… nichts von dem ist originär. Die gleichen dunklen Flure, das gleiche düstere Hintergrunddröhnen, die gleichen absurden Dialoge, die gleiche zerfahrene Erzählweise, die blonde Frau im Zentrum des Geschehens – alles, wie man es von ihm kennt, als wollte er eine Summe seiner bisherigen Werke ziehen. Doch etwas ist hier anders: Lynch hat sich erheblich radikalisiert. Wer Lost Highway und Mullholland Drive ob des nicht mehr zu linearisierenden Plots verwirrend, abstoßend, unansehnlich fand, der wird mit Inland Empire ganz gewiss nicht warm werden, ist er doch noch konfuser als seine Vorgänger. Bezeichnend für die Radikalisierung Lynchs im Verhältnis zu Mullholland Drive oder Lost Highway ist darüber hinaus, dass der feine, oft nur implizite Humor, der bisher immer essentieller Bestandteil seiner Filme war, aus diesem weitgehend getilgt wurde. Zurück bleibt das Grauen, das aus jenem seelischen Binnenreich stammt, über das seine Figuren keine Macht mehr zu besitzen scheinen. Und, so viel darf man vorwegnehmen, ein unerklärlich versöhnliches Ende.

Auch wenn man das alles bereits zu kennen vermeint… Interessant ist Inland Empire schon allein deshalb, weil das ästhetische Konzept, dem der Film aufliegt, so offen und vielschichtig ist. Das einzig vorhersehbare in Handlung und Bild ist die Unvorhersehbarkeit. Die dialektische Logik der verfilmten Albtraumwelt, in der die Lösung jedes Widerspruchs einen neuen in sich trägt, erschließt sich nicht, ihr Plan bleibt unleserlich. Dafür schillert sie drei Stunden lang in allen denkbaren Facetten und gebiert einen Film, der nicht nur von der hervorragenden, erstaunlich vielseitig agierenden Laura Dern lebt, sondern auch von der schönen Bildsprache und dem merkwürdigen Wirklichkeitskonzept, das ihm zugrunde liegt. Von der Aussicht, am Ende ziemlich ratlos dazusitzen, sollte man sich nicht abschrecken lassen. Es wirkt, als wollte der letzte Satz des Films – “So weird!” – über die Aporien, denen man sich beim Zusehen unweigerlich aussetzt, hinwegtrösten. Denn was man nicht verstehen kann, kann man auch nicht missverstehen.

Inland Empire – äußerst sehenswert.

Nico Dorn

Inland Empire; Regie und Drehbuch: David Lynch; Darsteller: Laura Dern, Justin Theroux, Jeremy Irons; 172 Min.; USA/Frankreich/Polen 2006. Der Film erscheint am 7. November auf DVD.