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Ausgabe SoSe06 - 1
Autor Til Dellman

Wenn die Demokratie versagt - Ãœber das "Mouvement anti-CPE" in Frankreich

Dienstag, 21. März auf dem Campus Grenoble: Trotz Regens und knapp einstündiger Verspätung haben sich auf dem großen Platz vor der Bibliothek 6000 Studierende zusammengefunden, um über die Fortsetzung der seit zwei Wochen dauernden Universitätsblockade abzustimmen. Aber es geht nicht 'nur' um die Blockade der Hörsäle: Das Ende der Blockade bedeutete das Ende aller Aktionen gegen den „contract premier embauche“ (CPE), so die Befürworter des Streiks, und man dürfe jetzt nicht zurückstecken. Es sei an der Regierung zurückzurudern. Der CPE ist ein Arbeitsvertrag („Ersteinstellungsvertrag“) für Menschen unter 26 Jahren, der es dem Arbeitgeber innerhalb der ersten zwei Jahre jederzeit ermöglicht, den Vertrag ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Ein zweiter Schritt in Richtung der allgemeinen Aufhebung eines gesetzlichen Kündigungsschutzes, nachdem im vorigen Sommer bereits eine „Super-Probezeit“ für die Beschäftigten in kleinen und mittleren Betrieben eingeführt wurde. Und ein weiterer Schritt in die Prekarität aller Beschäftigungsverhältnisse, mahnt eine Abgeordnete des Betriebsrates der Uni – dabei seien bereits jetzt schon 30% der Angestellten an der Universität in prekären Arbeitsverträgen, ergänzt ein Professor. Für den CPE ist auf dem Campus so gut wie niemand, auch nicht die Gruppe von Studierenden, die lieber wieder studieren möchte. Eine Blockade bringe politisch nichts und bestrafe diejenigen, die nur deshalb studieren könnten, weil sie ein Stipendium (dem BAföG ähnlich) bezögen oder im Sommer arbeiteten. Das Stipendium könnte zurückgezogen werden, weil das Semester nicht anerkannt oder die Prüfungen in den Sommer verschoben würden. Und was sei mit den zahlreichen ausländischen Studierenden? - Ein starkes Argument für die Aufhebung der Blockade. Aber sichtlich bemüht, ihre Kommilitonen zu überzeugen, entgegnet eine werdende Juristin, dass das Streikrecht übergeordnet sei und man, sofern der Streik durch die Vollversammlung legitimiert sei, deshalb nicht bestraft werden dürfe. Es werden noch einige weitere Argumente ausgetauscht und es wird klar, dass es eine Entscheidung ob „ganz oder gar nicht“ wird. Nach mehreren Stunden gibt die Zählkommission das Ergebnis bekannt: Mit 4006 zu 1770 Stimmen, also einer satten Zwei-Drittel-Mehrheit, wird die Blockade bis zur nächsten Vollversammlung drei Tage später beschlossen und dort für eine weitere Woche bestätigt.

So demokratisch geht es nicht in allen Gremien zu: Die französische Regierung unter Premierminister Villepin hat das Gesetz („Loi des égalités des chances“) in einem sogenannten „Artikel 49-3 Fall“ auf den Weg gebracht. Dieser Verfassungsartikel sieht grob gesagt vor, dass der Premierminister zu jedem Zeitpunkt einen Text ggf. auch ohne Abstimmung durch die Nationalversammlung bringen und damit jede weitere Diskussion zu diesem Thema unterbinden kann. Der Text gilt als angenommen, wenn kein Einspruch erhoben wird. Im vorliegenden Fall fand die Sitzung ohne Vorankündigung (Eilentscheidung) um 2 Uhr in der Nacht vom 8. zum 9. Februar statt. Anwesend war immerhin ein Fünftel der Abgeordneten...

Eine Woche später findet in ganz Frankreich ein weiterer Aktionstag für die Aufhebung des erlassenen Gesetzes statt. Allein in Grenoble sind 60.000 Menschen auf der Straße. Über eine Million seien es insgesamt in Frankreich, geben die VeranstalterInnen bekannt, als der Demonstrationszug im Stadtpark ankommt, und die letzten Leute gingen jetzt erst am Bahnhof los. Im Demonstrationszug gewinnt man den Eindruck, als seien sämtliche SchülerInnen der Stadt auf den Beinen. Von den 50.000 Studierenden ist wahrscheinlich „nur“ jedeR dritte dabei – den Rest der Masse bilden ArbeiterInnen, Arbeitslose, Gewerkschaften, etc.. Aber im wesentlichen bleibt es die junge Generation, die mit lauten Sprechchören und vielen neuen Bedeutungen für CPE aufwartet. Von „Contre le Pouvoir Eliminatoire“ (gegen die eliminierende Herrschaft) bis hin zu Contract Premier Emmerde (Vertrag „Erste Scheiße“) geht die Spannweite. Und den jungen Menschen ist klar, dass es hier nicht „nur“ um die Aufhebung eines Gesetzes geht, um später unter „guten“ Bedingungen arbeiten gehen zu können: Im Zusammenhang mit dem CPE/CNE kritisieren sie auch immer wieder das verursachende Element: Den Kapitalismus.

Ob die Bewegung Erfolg haben wird, muss sich noch zeigen, aber ein weiteres Transparent gibt die Parole aus, dass „Utopie ist, wenn man glaubt, dass es so weitergehen kann“. Und so wird auf der Abschlusskundgebung Optimismus verbreitet, dass mensch kurz davor sei, das gemeinsame Ziel zu erreichen. Immerhin seien Ende März 69 von 84 Universitäten und ca. 1000 der 4300 staatlichen Oberstufenschulen mobilisiert, und vielerorts sind die Gebäude komplett blockiert. Umfragen nach unterstützen 2/3 der Franzosen die Bewegung, und de Villepins Regierung kommt wohl nicht umhin, das Gesetz zurückzuziehen – zumindest nicht, wenn sie sich demokratisch noch ernst nimmt.


Aktuelle Infos (französisch): http://www.stopcpe.net/

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